20. März 2020
Wohnst du noch oder WGst du schon?
Der Wunsch nach einem Dasein in Gemeinschaft findet sich immer häufiger auch in Lebensplanungen jenseits des Studienalters. Unsere Autorin stellt deshalb jede Woche eine andere Möglichkeit des Zusammenwohnens vor.
Paula wohnt in einem Hausprojekt außerhalb Berlins und die Fahrt von Schöneberg ist lang. Die Stirn an die Scheibe geklebt frage ich mich, warum überhaupt alle in diese Stadt wollen. Es ist groß, laut, hektisch, es gibt Möglichkeiten ohne Ende und so furchtbar viele Menschen, von denen man doch nur den wenigsten nahe kommt. Das ist das Trügerische an der Großstadt: die Masse an Mitmenschen suggeriert Gemeinschaft.
Von der Bahnstation ist das zweistöckige Altbauhaus noch gute zehn Minuten zu Fuß entfernt. Es liegt in einer ruhigen Straße und unterscheidet sich äußerlich kaum von den umliegenden Häusern. Keine Transparente, kein bröckelnder Putz, keines dieser Hier-war-mal-ein-besetztes-Haus-Klischees. Die frisch gestrichene Fassade wirkt ruhig. Erwachsen, könnte man sagen. Paula öffnet mir die Tür, sie lächelt und ihr Bauch ist dick vom schwanger-Sein.
Paula ist Mitte dreißig und war 2009 Teil der Gründungsgruppe dieses Hausprojekts, das wie viele andere seiner Art als Besetzung eines baufälligen Altbaus begann. »Ich bin da so reingerutscht«, sagt sie. »Wir waren eine Gruppe aus jüngeren Studierenden und älteren Hausbesetzern, und haben erst spät gemerkt, dass unser Vorhaben sehr viel Arbeit ist.« Paula ist die letzte aus dieser Zeit, die auch heute noch hier lebt. Mittlerweile haben sich insgesamt 15 Erwachsene und 7 Kinder zusammengefunden, um auf zwei Stockwerken und einem Hinterhaus gemeinschaftlich zu wohnen. Das Erdgeschoß ist anderen internen Projekten gewidmet: einer kleinen Kneipe, dem geräumigen Buchladen mit Holzofen und einem Umsonst-, oder, »U«-Laden. »Wir hatten Lust auf ein kreatives Zusammensein, darauf das Leben als Kollektiv auszuprobieren. Auf solidarische Kassen – Eigentum ein bisschen in Frage stellen und sowas.« Das Konzept, nicht abgeschlossen als Familie zu wohnen, sondern Teil einer größeren Gruppe zu sein, war vor allem den Älteren der Gruppe schon gut bekannt. Von jenen kam auch die Idee, das Haus zu einem politisches Projekt zu machen. Ein »soziokulturelles Zentrum« sollte es werden, um »sich einzumischen«. Etwas, das momentan aber nur selten passiert. Privates, der Ausbau des Hauses und andere Aufgaben seien zu zeitintensiv. »Oder vielleicht ist es mittlerweile auch per se schwieriger sich in einzumischen«, vermutet Paula.
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Keiner der Bewohner hat einen Vollzeit-Job. Das ist auch kaum möglich bei all den Verpflichtungen, die das Leben hier so mit sich bringt. Die obligatorischen Arbeitsgruppen für die Baustelle, die Finanzen und die Öffentlichkeitsarbeit des Hauses fordern die Menschen genug. Jede Arbeitsgruppe hält eigene Plenen ab, zusätzlich gibt es ein Bewohner-Plenum, ein Sozial-Plenum und ein allgemeines Haus-Plenum. Soll mehr Bio eingekauft werden? In welcher Form soll der politische Aktivismus stattfinden? Wer geht für die Gemeinschaftskasse Spargel stechen? Alle Entscheidungen werden im Konsens getroffen. Oft ein mühsamer Prozess: das Plakat über die fünf Konsensstufen im Wohnzimmer lässt lange Diskussionen erahnen. »Konsens muss man üben«, sagt Paula.
Für sie ist diese ständige Auseinandersetzung mit der Gruppe jedoch Teil ihrer persönlichen Weiterentwicklung. Auch wenn sie sich nicht sicher ist, wie lange das noch so sein wird. »Wenn das schöne Lernen vorbei ist, folgt irgendwann – wahrscheinlich – die pure Anstrengung«. Sobald Paula ihr zweites Kind bekommt, stellt sich auch die Frage nach ihren verfügbaren Zeit-Ressourcen für dieses riesige Projekt. »Ich weiß nicht, ob ich das schaffe. Ein zweites Kind, den Sprung in die Lohnarbeit, und dann noch das Haus. Wahrscheinlich werde ich das Haus absägen müssen.« Leicht wird ihr das nicht fallen. »Ich habe mich schon sehr verguckt in so ein Wohnkonzept. Bei allem, was ich anstrengend finde oder wo ich merke, dass ich Teile meiner Persönlichkeit nicht ausleben kann. Aber das ist wohl immer so, denke ich.«
In der Küche wird neben dem Abwasch auch Politik gemacht.